Samstag, 20. Juni 2009

History Marketing: Gemeinsame Geschichte verbindet

Sei jung, frisch und modern – so wie Popstar Madonna sich stetig neu erfindet, arbeiten auch viele Markenmanager in ihrer Kommunikation. Ein neues Image, ein neues Logo, ein neuer Claim und schon ist die Marke runderneuert. Doch genau so wenig glaubwürdig, wie Leggings auf Dauer über das wahre Alter einer 50-jährigen hinwegtäuschen können, ist die Aussage glaubwürdig, dass die x-te Auflage eines Waschmittels jetzt noch viel weißer als früher wasche. Dabei ist ein hohes (Marken-)Alter nicht zwingend gleichbedeutend mit einem verstaubten und unzeitgemäßen Image.


Hinter einer Marke, die sich seit Jahrzehnten im Markt behaupten kann, steckt tatsächlich viel mehr: Tradition und jede Menge Erfahrung.
Das Potential dahinter erkennen immer mehr Markenverantwortliche. Tradition ist wichtig: Sie verspricht Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit. Anstatt sich mit jedem Jahr ein neues Image zu geben, nutzen inzwischen zahlreiche namhafte Traditionsunternehmen ihr über Jahre gewonnenes Wissen und ihre hohen Qualitätsstandards zur Werbung.
Wer bereits seit Jahren Qualität und Innovationskraft beweist, der erlangt Glaubwürdigkeit und Identifikation bei Kunden, Mitarbeitern und Lieferanten. In Geschichte und Erinnerungen stecken positive Emotionspotentiale, die freigesetzt werden sollten. Dies ist Grund genug für den MTP.Mehrwert, sich in dieser Ausgabe dem Thema History Marketing zu widmen.
Ein prägnantes Beispiel für den aktiven Umgang mit ihrer Geschichte bietet die Volkswagen AG.

Der Blick zurück verbindet sich mit dem Blick nach vorne.

Schon 2006 nutzte Volkswagen in einer internationalen Kampagne seine Unternehmensgeschichte für Marketingzwecke. Wichtige Bestandteile der Kampagne sind die geschichtsträchtigen Flaggschiffe VW Käfer, Transporter und Golf. Für viele war der kleine, runde Käfer als erstes eigenes Auto auch der erste Schritt in die Unabhängigkeit. So ist das Fahrzeug ein elementarer Teil der Erinnerung an die persönliche Vergangenheit. Mit dem leibevoll „Bulli“ genannten Transporter verbanden die Fahrer ein einzigartiges Lebensgefühl von unbegrenzter Freiheit und Mobilität. Das Namensrecht auf „Bulli“ verteidigt der Konzern noch bis heute, weil ihm bewusst ist, welches Kapital diese emotionale Bindung der Kunden an ihr Fahrzeug birgt. Der Golf ist ein derart zeitalterprägendes Fahrzeug, dass ein deutscher Beststellerautor eine ganze Generation nach ihm benannt hat.
Neben den einzelnen Fahrzeugen wird ebenfalls auf die Strategie, Innovationen seit jeher allen Fahrern zugänglich zu machen, eingegangen. Dies ist nicht nur eine retrospektive Feststellung sondern auch ein Versprechen für die Zukunft.
History Marketing gibt einem Unternehmen durch nachvollziehbare Dokumentation von Kompetenz und Erfahrung die Möglichkeit, seine Vision und Ziele zu kommunizieren, ohne dabei unglaubwürdig zu wirken.

„Gemeinsam haben wir viel erlebt“

Die Geschichte kann als Instrument in der Unternehmenskommunikation kreativ eingesetzt werden. Dieses Potential wird in Unternehmen oft noch völlig unterschätzt. Gemeint ist hier besonders eine feste, also nicht nur eventorientierte, Verankerung der Geschichte im Bereich des Marketings. Jubiläen sind ein hervorragender Anlass, sich mit seiner Unternehmensgeschichte auseinander zu setzen und sie gegebenenfalls neu zu recherchieren und zu archivieren. So entstehende Unternehmensarchive, wie bei der Siemens AG zu finden, sind als Mittel zur Identifikation mit dem Unternehmen für Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden interessant.
So ermuntert der Wolfsburger VW-Konzern zu seinem 60. Geburtstag nun in seiner neuen Kampagne die Kunden dazu, ihre eigenen VW-Geschichten niederzuschreiben. Auf einer eigens eingerichteten Homepage werden diese persönlichen Momentaufnahmen gesammelt und veröffentlicht. Aus Marketingsicht ist dieser Medienwechsel ziemlich gewagt. Es droht die Gefahr, den Kunden zwischen analogem Endgerät und digitalem Dschungel zu verlieren. Und doch funktioniert es dank dem hohen Involvement der Kunden. Das Emotionspotential, das die Lebensgeschichte als Autofahrer und die Beziehungsgeschichte zu einem Fahrzeug beinhaltet, wird perfekt genutzt.

Im Bereich Automobilbau findet das Konzept des History Marketings so starken Anklang, dass auch der französische Hersteller Renault für die Neuvorstellung des Renault Koleos 2008 an die konzerneigene Geschichte und Kundenerlebnisse erinnerte. Der TV-Spot zeigt selbstironisch die Probleme, denen Renault-Fahrer früher gegenüberstanden, wenn sie auf unwegsamem Gelände unterwegs waren – der neue Geländewagen soll dort nun Abhilfe schaffen.
Auch viele andere Wirtschaftsbereiche haben die Vermarktung ihrer eigenen Geschichte für sich entdeckt. Waschmittelproduzenten und Kaffeeröstereien betonen seit Jahren Tradition und Erfahrung als elementare Werte ihrer Marken. Die Geschichte kann als Beweis für alle Imagedimensionen, Marken- und Kompetenzversprechen dienen, mit denen sich Unternehmen um die Gunst der Kunden bewerben. Im immer stärker werdenden Wettbewerb ist das einzige dauerhafte Alleinstellungsmerkmal, auf das sich Unternehmen heute noch beziehen können, eine erfolgreiche Vergangenheit, als ein Beleg für Wertigkeit und somit ein als absolutes Kaufargument.

Allerdings birgt die Geschichte vieler Unternehmen auch dunkle Stationen. Mit Hilfe von wissenschaftlichen Beratern kann jedoch durchaus souverän mit
Belastungen der Vergangenheit umgegangen werden. Neben einer NS-Vergangenheit fallen auch Umweltverschmutzung, Verbrechen gegen Ureinwohner, Kinderarbeit oder Rohstoffausbeutung in eine solche Kategorie. Wichtig ist dabei, dass die Unternehmen die führende Rolle bei der Aufarbeitung solcher „schwarzen Flecken“ der Firmengeschichte übernehmen. Öffentlicher Druck sollte sie nicht in Bedrängnis bringen können. History Marketing wird in diesem Kontext zum Bestandteil einer präventiven Krisenkommunikation. Mit einem nach innen und außen hin ausgeprägten Geschichtsbewusstsein kann ein Unternehmen seine Rolle in der Gesellschaft zudem verantwortungsbewusster wahrnehmen. Auch hier geht die Volkswagen AG im Umgang mit der Zwangsarbeiterfrage mit gutem Beispiel voran. Sie gründete einen humanitären Fond und beauftragte die KPMG mit dessen Betreuung. Weltweit – von Nordamerika bis Russland – wurden Anzeigen geschaltet, in denen Menschen gesucht wurden, die zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges als Zwangsarbeiter im Volkswagenwerk arbeiten mussten. So konnten bereits zahlreiche Menschen finanziell entschädigt werden. Vertrauen, Ehrlichkeit und historische Sensibilität eines Unternehmens sind, zudem auf internationaler Ebene, kaum eindrucksvoller zu beweisen. Ergänzend zeugt die auf dem Werksgelände errichtete und gepflegte Erinnerungsstätte vom offenen Umgang des Wolfsburger Unternehmens mit der Vergangenheit. History Marketing hat nicht zwingend etwas mit der Einordnung des Handelns von Unternehmen in die Wirtschaftsgeschichte oder die allgemeine Geschichte zu tun. Ebenso ist es keine privatfinanzierte Serviceleistung für die Wissenschaft. Der Ansatz des History Marketing läuft entgegengesetzt.

Die Produkt- und die Beziehungsgeschichten zu seinen Zielgruppen und Märkten sind eine der wichtigsten Ressourcen des Unternehmens- und Markenbildes. Es handelt sich hierbei um ein Instrument, mit dem glaubhaft vermittelt werden kann, dass ein Unternehmen seinen Mitbewerbern immer einen Schritt voraus ist und auch zukünftig sein wird. Im Zeitalter heterogener Unternehmensstrukturen und kurzer Produktlebenszyklen kann so die einmalige Identität und das Image eines Unternehmens unterstrichen werden. Die Geschichte unterscheidet ein Unternehmen mit seinen Produktmarken eindeutig von den Wettbewerbern. Jede Geschichte ist einmalig, kann nicht kopiert oder erfunden werden und ist für jeden überprüfbar – Sie ist somit ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil.

Auch im Bereich des Employer Branding (siehe MTP.Mehrwert Ausgabe 9) kann History Marketing Unternehmen helfen, sich eine glaubwürdige und einzigartige Identität zu schaffen, mit der sich Mitarbeiter identifizieren können. Ebenso eröffnet History Marketing einen Kanal, über den das Unternehmen direkt in Kontakt mit den Mitarbeitern treten kann. Das Wissen über die Unternehmensgeschichte bewirkt bei Betriebsangehörigen eine stärkere Bindung an den Arbeitgeber. Psychologisch gesehen kann ein lang existierendes Unternehmen mit Tradition den Mitarbeitern auch ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Der Job in einem solchen Betrieb erscheint sicherer; dies erhöht die Motivation und Produktivität des Angestellten und führt zu einem besseren Betriebsklima. Auch im Kampf um qualifizierte Mitarbeiter ist die aktive Kommunikation der Unternehmensgeschichte daher von Vorteil.

Als Marketing-Instrument ist History Marketing aber nicht nur großen Konzernen und ihren multimedialen Kampagnen vorbehalten. Auch kleine und mittelständische Unternehmen können unter Bezugnahme auf ihre lange regionale Verwurzelung kostengünstig punkten. So kann ein Bäcker mit 100 Jahren Backhandwerk werben und vermittelt damit seine Fachkompetenz.

Fazit: Geschichte lebt.
Begriffe wie „jung“, „frisch“ und „modern“ mögen zwar nach Innovation klingen, können aber gerade in Krisenzeiten auch mit Risiko assoziiert werden. Besonders Unternehmen, die bereits Beständigkeit bewiesen haben, können bei verunsicherten Kunden mit ihrer langjährigen Erfahrung und Kompetenz punkten. Sie vertrauen auf Tradition und Erfahrung.
Ein frisches Image ist also nicht alles. So oft Madonna ihre Hülle auch wechselt, sind es doch ihre jahrzehntelange Erfahrung und ihr Gespür für Trends, die sie von der immer jünger werdenden Konkurrenz unterscheidet.

Weitere Informationen:
//Alexander Schug: History Marketing, Ein Leitfaden zum Umgang mit Geschichte in
Unternehmen; Transcript Verlag


//Christian Michalowski: Wertorientierte Unternehmensführung, History Marketing und
dessen Einflussbereiche; VdM Verlag Dr. Müller


www.vergangenheitsagentur.de

www.geschichtsbuero.de

Und nach Hinweis von Norman Lippert:

//Heike Bühler/Uta-Micaela Dürig (Hg.): Tradition kommunizieren. Das Handbuch der Heritage Communication, Frankfurt am Main 2008.

//Nicolai Oliver Herbrand/Stefan Röhrig (Hg.): Die Bedeutung der Tradition für die Markenkommunikation. Konzepte und Instrumente zur ganzheitlichen Ausschöpfung des Erfolgspotenzials Markenhistorie, Stuttgart 2006.

Autoren:
Janine Schiefler & Oliver Kühne



Erschienen in MTP.Mehrwert, Ausgabe 10: Sommersemester 2009

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen