Sonntag, 1. April 2007

Medialer Tod mit 50? - Im Jenseits des Jugendwahns leben Totgesagte länger


Angefangen bei der Oma, der auch der Joghurt ihrer Enkel schmeckt, über den markanten Mann, der sich durch seinen Duft von den Jungs abhebt, bis hin zu den reifen Damen, die Körperpflege für das reife Alter und nicht gegen das Altern propagieren. Das überschlanke 14-jährige Hochglanz-Supermodel scheint Konkurrenz zu bekommen – von der eigenen Großmutter.

Schlagen wir heute eine Illustrierte auf oder schalten den Fernseher an, sehen wir in Anzeigen und Spots immer öfter für Werbung bisher untypische Charaktere.
Doch warum ist das so? Leben wir nicht einer dem Jugend- und Schönheitswahn verfallenen Gesellschaft?
Schlüsselwörter sind hier zum einen „demographische Entwicklung“ und „Altersreichtum“, zum anderen „Marktsättigung“ und „Individualisierung“. Für Marketingwissenschaftler seit langem schon bekannt, realisiert die Werbepraxis den Trend erst langsam. Menschen ab 50 sind noch lange nicht tot, auch wenn die Werbeindustrie sie bereits zu „Senioren“ macht. Sie wollen das Leben genießen und können sich das auch leisten.
Wir leben in einer Mediengesellschaft. Medien, speziell die klassischen Massenmedien wie Print und Fernsehen, aber auch in immer größerem Maße das Internet, sind allgegenwärtig und einem ständigem Wandel unterzogen. Hochhäuser werden zu Plakatwänden, Mobiltelefone zu Kreditkarten und das Fernsehen entwickelt sich immer stärker zum „Radio mit Bildern“ - als Begleitmedium läuft es ständig im Hintergrund. Das gezielte Senden von Informationen wird immer schwieriger, weil die Konsumenten aufgrund einer ständigen Reizüberflutung mit der Masse an Botschaften überfordert sind. Die Informationsansprüche der Empfänger werden vernachlässigt oder zu undifferenziert angesprochen.
Angebote für die Masse überfluten den Markt. Die Zielgruppe, die von den meisten Werbern angepeilt wird, ist die der 14 bis 49-jährigen. Diese Gruppe ist sehr groß und heterogen. Kein Produkt kann die Ansprüche aller Kunden erfüllen. Auch wenn viele Unternehmen der Meinung sind, ihr Produkt sei eine „eierlegende Wollmilchsau“ - früher oder später merken sie, dass es ein solches Produkt nicht gibt.
Seit den Achtziger-Jahren lautet daher die Parole „Individualisierung“. Konsum wird zu einem Mittel, die eigene Identität nach außen zu kommunizieren und zunehmend zu einem zentralen Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzungen - man ist was man kauft. Individuelle Ansprache einzelner Personen ist über die klassischen Massenmedien nicht möglich. Eine mögliche Lösung ist die Zusammenfassung von Individuen zu möglichst homogenen Gruppen, die Regelmäßigkeiten im Konsumverhalten aufweisen, um so Streuverluste der Werbung zu minimieren.

Gibt es trotz des Individualisierungstrends gruppenspezifische Verhaltensweisen, die sich in Kauf- und Medienverhalten widerspiegeln?

In der Soziologie entwickelte sich die Gruppendefinition von Klassen und sozialen Schichten hin zu Lebensstilkonzepten. Die wichtigsten Kriterien zur Gruppenbildung sind Alter, Einkommen und Bildung. Der Ansatz der Sinus-Milieus ist für das Marketing am besten geeignet, da er neben diesen Kriterien auch Auskunft über persönliche Vorlieben, soziale Situation und Einstellungen gibt.

Kann man das Leben wirklich nur genießen, wenn man jung ist?

Während sich das Kindermarketing für die Kundengruppe zwischen sechs und 17 Jahren auf eine Kaufkraft von 10,4 Milliarden Euro stürzt, wurde das 50 Milliarden schwere Vermögen der über 50 Jährigen lange übersehen. Im Jugendwahn der letzten Jahre tauchten diese in der Werbung, wenn überhaupt, nur als zahnlose Alte mit Inkontinenzproblemen auf.
Im Zuge der demografischen Entwicklung ist es erforderlich die Neuausrichtung der Werbung auf ältere Konsumenten zu verstärken.
Die deutsche Bevölkerung wird immer älter. Keine Gruppe in der Gesellschaft wächst so stark, wie die der „Alten“. Dabei ist dieser Trend nicht auf Deutschland beschränkt, sondern in vielen Ländern der westlichen Welt genauso zu beobachten. Makroökonomisch betrachtet, bilden Senioren eine stark wachsende Gruppe, die gesund und wohlhabend ist. Außerdem kann sie mit einem so langen Leben rechnen, wie keine Generation vor ihr.


Alt ist jedoch nicht gleich alt.

Die durchschnittliche Lebenserwartung erhöht sich jährlich um drei Monate. Entsprechend verlängert sich die wahrgenommene Jugend bis zum 35. Lebensjahr. Traditionell gelten Menschen ab 45 Jahren als alt. Eine Haltung, die auch viele Werbetreibende einnehmen. Diese gedankliche Grenze ist nicht mit der heutigen Lebenserwartung gewachsen. Wenn man diese Theorie weiterdenkt, verkürzt sich die Zeitspanne des Erwachsenseins daher auf 10 Jahre. Ein 60-jähriger hat heute durchschnittlich noch 25 Jahre seines Lebens vor sich und würde damit 40 Jahre lang als „alt“ gelten.
Die Geburtenraten sind seit Jahren rückläufig und laut dem Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend wird so jeder dritte Bundesbürger bis zum Jahr 2030 über 60 Jahre alt sein. Die Kaufkraft dieser älteren Menschen (60 Jahre und älter) ist heute schon deutlich höher als es die Werbeausrichtung der Unternehmen erahnen lässt. Ihre Ausgaben betragen fast ein Drittel der Gesamtausgaben für den privaten Konsum. Zusätzlich verfügt der Anteil der über 50-jährigen auch über mehr als 45 Prozent des gesamten deutschen Sparvermögens.
Es ist ein weit verbreitetes Vorurteil, dass ältere Bürger durch Werbung weniger beeinflussbar sind, weil sie eine hohe Markenbindung besitzen. Die Realität sieht anders aus. Bei der Untersuchung der Sinusmilieus auf ihre Alterstrukturen, zeigen die drei Milieus der Konservativen, Postmaterialistischen und Etablierten (siehe Kasten) einen hohen Anteil von Menschen ab 45 Jahren. Sie sind bei der Wahl ihrer Konsumprodukte sehr flexibel. Nicht das Alter entscheidet darüber, welche Marken gekauft werden, sondern das Einkommen. Senioren sind keine leichten Kunden, die ihr Geld einfach abliefern. In Erfahrung, Selbstbewusstsein, Kritikfähigkeit, Urteilsvermögen usw. sind viele Senioren jüngeren Menschen überlegen. Will man bei dieser Zielgruppe Markentreue erreichen, muss man besonders ihren Ansprüchen in punkto Qualität und Leistung gerecht werden.


Kaufimpulse werden dann ausgelöst, wenn die richtige Ansprache gefunden wird.
Darüber hinaus wird den über 50-jährigen eine geringe Nutzung von Fernsehen und Internet nachgesagt. Seniorenportale im Internet und neuere empirische Untersuchungen über das Fernsehverhalten bringen andere Erkenntnisse: Die Altersgruppe sieht zum Teil sogar deutlich mehr fern als jüngere Zuschauer und verwendet mehr Zeit auf die Nutzung der „neuen“ Medien.

Welche Produktgruppen können für Senioren überhaupt interessant sein?

Die Bedürfnisse innerhalb der Gruppe der „Alten“ sind sehr unterschiedlich und die Erfüllungsstufen variieren über das Einkommen. Es müssen materielle, ideelle und Grundbedürfnisse unterschieden werden.
Im Bereich der Grundbedürfnisse stehen besonders Gesundheit und Sicherheit im Vordergrund und Risiken werden nur ungern eingegangen. An zweiter Stelle in der Erfüllungsfolge stehen ideelle Bedürfnisse, welche ihren Fokus auf Familie, Ruhe und Genuss legen.
Nach der Erfüllung der anderen Bedürfnisse werden die materiellen verwirklicht, hierbei spielen das Wohnen, Reisen und auch Luxuswagen eine große Rolle.
Der Lebensstil der drei Milieus lässt sich erneut über das Alter differenzieren. Betrachten wir zunächst die „jungen Alten“: In den babyboomenden Nachkriegsjahren geboren, sind sie die eigentlichen Hedonisten. Sie reisen viel und exklusiv und kaufen bevorzugt hochwertige Produkte, die ihren Lebensstil verbessern. Sie geben ihr Geld aus, weil sie sich den Luxus verdient haben.
Im Gegensatz dazu haben die „alten Alten“ andere Werte. Sie haben den Zweiten Weltkrieg direkt erlebt und sind in den Kriegsjahren groß geworden. Sie kennen daher noch Mangel und haben Familiensinn. Deshalb legen sie ihren finanziellen Fokus auf die Familie.

Wie sollte man seine Werbung an diese speziellen Zielgruppen adressieren?

Eins haben beide Altersgruppen gemeinsam: Sie wollen nicht als alt bezeichnet werden, weder als Senioren, noch mit modernen, das Alter beschönigende Anglizismen, wie Golden Oldies oder Best Ager.
Die Gestaltung der Verkaufsräume sollte ebenfalls anders erfolgen als gewöhnlich. Die zahlungskräftigen reifen Kunden möchten sich nicht der Reizüberflutung und Unordnung „normaler“ Geschäfte aussetzen. Sie legen Wert auf übersichtliche Raumgestaltung,
beruhigende Farben, ruhige Hintergrundmusik und viel freien Raum, der auch mit Rollstühlen zugänglich ist. Die Auslagen sollten sich an den speziellen Bedürfnissen körperlich Beeinträchtigter orientieren und diese nicht vom Kauferlebnis ausgrenzen. Die Kunden wünschen kompetente Beratung ohne von Fachwissen überrollt zu werden. Hierzu muss das Verkaufspersonal über ein besonderes Taktgefühl verfügen und das richtige Informationsangebot aufbieten können.

Der Ton macht die Musik – Das Wort macht die Ansprache

Nicht nur in der Bezeichnung, auch bei der Ansprache der reifen Zielgruppen muss einiges beachtet werden. In der Werbung sollte man auf das Wording achten: Begriffe wie „komfortabel“, „hochwertig“ und „bequem“ haben eine positive Wirkung, technische Feinheiten sind eher verwirrend als Kauf anregend. Wo mit technischen Informationen bei jüngeren Kunden noch Interesse erzeugt und vom Produkt überzeugt werden könnte, wird möglicherweise eine bereits getroffene Kaufentscheidung bei Senioren negativ beeinflusst, weil die Komplexität des Produktes bewusst gemacht wird.
Die visuelle Unterstützung der Werbung sollte ebenfalls auf den Kunden ausgerichtet sein. Bilder von Familien, Harmonie, Natur und Freude werden positiv aufgenommen. Im Allgemeinen sollte die Werbung eher ruhig als aufregend gestaltet sein.
So wirbt Boss in seiner Kampagne für die Marke „Baldessarini“ für seinen Herrenduft, welcher von einem jungen Mann nicht benutzt werden kann, weil dieser die Flasche nicht heben kann. „Separates the men from the boys“ lautet die Werbebotschaft. Und sie kommt an. Nach der Parfümlinie hat Boss die Marke Baldessarini auch auf Mode erweitert und damit einen Drei-Markenaufbau für drei unterschiedliche Altersgruppen geschaffen. Jeder Mann in jeder Altersklasse soll ich sich in einer der drei Boss-Marken wiederfinden. Ändern sich im Alter Bedürfnisse und Einstellungen hat Boss auch weiterhin die passende Marke im Portfolio.
Auch die aktuelle Fruchtzwerge-Kampagne hat Vorbildfunktion. Eine Seniorin, die das Produkt für Kinder isst, hebt die guten Inhaltsstoffe hervor.

Warum soll nicht auch sie das gute Milchprodukt in der praktischen kleinen Portion essen dürfen?

Damit ist Danone ein Brückenschlag zwischen Kinder- und Seniorenprodukt gelungen, denn oft suchen Senioren nach gesunden Nahrungsmitteln in kleinen Portionen. Genau das wird von der Marke Fruchtzwerge kommuniziert. Es bietet sich folglich an, auch die sehr auf Gesundheit bedachten Senioren anzusprechen.

Fazit:

Altern macht Spaß, Altern ist sexy und Altern bedeutet bewusst konsumieren.
Wer als Unternehmen mit seiner Marke in diesem Segment erfolgreich sein will, der muss etwas dafür tun! Bei Angeboten für mehr Komfort und Lebensqualität für Ältere besteht ein großes wirtschaftliches Potential, das angesichts der demographischen Entwicklung weltweit weiter an Bedeutung gewinnen wird.
Die älteren Käufer lassen sich jedoch nicht von leichtfertigen Versprechen zum Kauf verleiten; sie wollen Qualität und haben hohe Ansprüche. Und sie können es sich leisten! Der Reichtum älterer Menschen (WOOP – Wealth of older people) darf nicht unterschätzt werden. Die „jungen Alten“ haben heute zum hemmungslosen Konsum noch 20 bis 30 Jahre Zeit. So werden uns zukünftig immer öfter strahlende Seniorinnen und markante Senioren in der Medienlandschaft begegnen, um Produkte für die beste Zeit des Lebens zu bewerben – vielleicht sogar zusammen mit ihren Enkeln.

Autoren:
Janine Schiefler & Oliver Kühne

Quellen:
// Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend

// Max Planck Institut für Demografische Forschung

// Sinus Sociovision

// Zentrum für demografischen Wandel

Weiterführende Literatur:
// Christian Schöler - Werbung für die Zielgruppe 50+. Wegweiser zu neuen
Konsumpotentialen

// Reinhard Hunke, Guido Gerstner – 55plus Marketing. Zukunftsmarkt Senioren

Veröffentlicht in MTP.Mehrwert Ausgabe 6 - Sommersemester 2007

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